Ein Interview mit Judith Halbach, Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Beziehungen sind überall in unserem Leben. Sie haben verschiedenste Formen, können gut oder schlecht sein – und daher auch unsere psychische Gesundheit beeinflussen. Kein Wunder also, dass sie auch eine zentrale Rolle in der therapeutischen Arbeit spielen. Wer eine Therapie beginnt, begibt sich nicht nur in ein besonderes Beziehungsverhältnis zur Therapeutin oder dem Therapeuten – oft sind Beziehungen auch der Grund, warum Betroffene eine Therapie machen.
In Bezug auf Psychotherapie wirft das Thema viele Fragen auf: Wie sieht eine gute Beziehung zwischen Klient:in und Therapeut:in aus? Welche Grenzen gibt es und worin liegen Herausforderungen? Und welche Rolle spielt die Beziehung zu sich selbst?
Darüber habe ich mich mit Judith Halbach unterhalten. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und begegnet dem Thema Beziehungen in ihrer Arbeit regelmäßig.
Welche Rolle spielt das Thema Beziehung in deiner therapeutischen Arbeit?
Das Thema Beziehung ist in meiner Arbeit sehr wichtig, und zwar auf verschiedene Arten und Weisen. Von elementarer Bedeutung ist die therapeutische Beziehung – also die Beziehung zwischen meinen Klient:innen und mir. Sie ist die Voraussetzung für eine gelungene Therapie.
Außerdem betrachte ich sehr häufig mit meinen Klient:innen gemeinsam ihre Beziehungen, seien es nun familiäre, freundschaftliche, romantische oder berufliche Beziehungen.
Und schließlich ist auch die Beziehung meiner Klient:innen zu sich selbst sehr wichtig. Ich arbeite gerne mit dem Ansatz des „Achtsamen Selbstmitgefühls“, den die amerikanischen Therapeut:innen Kristen Neff und Christopher Germer entwickelt haben. Denn nur wer eine gute Beziehung zu sich selbst führt, kann auch gute Beziehungen mit seinen Mitmenschen führen.
Was zeichnet für dich eine gute und angemessene Beziehung zwischen Klient:in und Therapeut:in aus?
Ich finde es wichtig, dass meine Klient:innen und ich uns gegenseitig vertrauen, dass wir uns wertschätzen und ehrlich zueinander sind. Mir ist es wichtig, dass die Gespräche auf Augenhöhe stattfinden. Ich sehe mich nicht als „Expertin“, die ihre Klient:innen analysiert und ihnen dann sagt, was sie zu tun haben. Stattdessen gehe ich davon aus, dass sie ihre eigenen Lösungen schon in sich tragen und ich ihnen lediglich dabei behilflich bin, diese zu finden.
Gibt es Grenzen in einer therapeutische Beziehung und wenn ja, welche?
Ja, die gibt es. Es liegt in der Natur der Therapie, dass es dort vor allem um die Gedanken, Gefühle und Handlungen der Klient:innen geht. Ich biete ihnen einen Gesprächsrahmen, in dem sie „stattfinden“ dürfen, ohne auf Gegenseitigkeit achten zu müssen.
Es kann ab und an vorkommen, dass ich auch etwas Persönliches von mir erzähle – aber das steht nicht im Vordergrund. Der Kontakt zu meinen Klient:innen ist außerdem klar auf die Zeit der Sitzungen begrenzt. Insofern ist die therapeutische Beziehung etwas ganz anderes als eine Freundschaft – in der es um beide Personen gehen sollte. Auch eine romantische Beziehung zu Klient:innen ist selbstverständlich ausgeschlossen.
Thematisch gibt es im Grunde keine Grenzen: Alles kann und darf gesagt werden. Klient:innen können auch ihre Unzufriedenheit mit mir oder dem Therapieprozess äußern. Was jedoch nicht gehen würde, wäre wenn sie mich beleidigen oder beschimpfen würden. Da müsste ich eine Grenze ziehen. Das ist aber zum Glück noch nicht vorgekommen.
Inwieweit siehst du Unterschiede zwischen einzelnen Therapieformen und -ansätzen, was den Stellenwert der therapeutischen Beziehung angeht?
Eine gute therapeutische Beziehung ist für alle Therapieformen sehr wichtig und auch laut Studien sehr entscheidend für die Wirksamkeit einer Therapie. In der Humanistischen Psychotherapie, die ich praktiziere, ist sie zentral. Für Carl Rogers, den Begründer der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, war die therapeutische Beziehung sozusagen die Therapie selbst.
In den Gesprächen mit mir erleben meine Klient:innen – so hoffe ich – wie es ist, mit einer ihnen wohlgesonnen Person in Kontakt zu sein, die sich authentisch verhält. Dadurch wird eine „korrigierende Beziehungserfahrung“ möglich. In dieser Art von Beziehung können die Klient:innen sich selbst genauer kennenlernen und ohne Angst verschiedene Anteile von sich selbst erkunden.
Klassischerweise steht bei Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie die therapeutische Beziehung etwas weniger im Vordergrund – was jedoch nicht bedeuten soll, dass sie bei diesen Verfahren nicht auch wichtig wäre.
Was können Herausforderungen in der Beziehung zwischen Klient:in und Therapeut:in sein?
Es kann sein, dass der Vertrauensaufbau zwischen den Klient:innen und mir nicht recht gelingen mag. Eine Klientin könne zum Beispiel den Eindruck haben, dass ich sie mit meinem Therapieansatz nicht so in ihrem Prozess unterstützen kann, wie sie es sich wünscht. Als Folge könnte sie mir vorenthalten, was in ihr tatsächlich vor sich geht. Wenn ich meine so etwas wahrzunehmen, dann thematisiere ich es. Ein Gespräch darüber ermöglicht uns vielleicht, mehr Vertrauen aufzubauen.
Es ist jedoch möglich, dass der Vertrauensaufbau nicht gelingt. In dem Fall wäre ich dann nicht die geeignete Therapeutin für diese Klientin und würde ihr empfehlen, sich eine:n andere:n Therapeut:in zu suchen. Generell gilt für mich: Wenn ich Spannungen oder Probleme in der therapeutischen Beziehung wahrnehme, versuche ich sie zu ergründen, zu besprechen und für den therapeutischen Prozess zu nutzen.
In einer Therapie ist Beziehung zu sich selbst ein wichtiger Faktor für Klient:innen. Denn oft geht es in der Therapie darum, diese zu verbessern. Welche Bedeutung hat die Beziehung zu sich selbst auf der anderen Seite, also auf der Seite der Therapeutin?
Aus meiner Sicht, ist es essentiell, dass Therapeut:innen eine gute Beziehung zu sich selbst haben. Als Therapeut:in muss ich mich selber sehr gut kennen – unter anderem, um zu verhindern, dass Aussagen oder Handlungen meiner Klient:innen meine eigenen Unsicherheiten triggern. Darüber hinaus ist es wichtig, dass ich während der Sitzungen in stetigem Kontakt zu mir selber stehe, damit ich auch in anspruchsvollen und aufwühlenden Momenten für mich selbst sorgen kann.
Ich habe daher viel Zeit, in die Pflege meiner Beziehung zu mir selbst investiert – zum Beispiel durch eigene Psychotherapie, Selbsterfahrung während meiner Therapieausbildung sowie achtsamkeitsbasierte Verfahren.
Gibt es Unterstützung für die Therapeutin, wenn es Probleme in der therapeutischen Beziehung gibt? Wenn ja, wie kann diese aussehen?
Für Probleme jeglicher Art gibt es Supervision oder Intervision – eine Art Beratung durch Kolleg:innen. Mit meinem Intervisionsteam bespreche ich schwierige Situationen oder frage nach Ideen, wie ich ein Thema mit meinen Klient:innen angehen könnte. Diese Reflexion der eigenen Arbeit von außen ist extrem wichtig. Auch für Therapeut:innen gilt, dass es hilft, über Probleme zu sprechen und sich auszutauschen.
Aus welchen Gründen kommen Klient:innen zu dir?
Tatsächlich sind es häufig Beziehungsthemen. Wir sind als Menschen schließlich soziale Wesen und in unseren diversen sozialen Netzwerke ständig in Beziehung zueinander: in unserer Herkunftsfamilie, in unserer aktuelle Familie oder Partnerschaft, in unserem Freundeskreis, bei der Arbeit, im Studium oder in unserer Nachbarschaft. Und überall, wo Menschen aufeinandertreffen, können Konflikte entstehen, weil wir alle unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen haben – und leider häufig nicht lernen, wie wir diese zum einen selber klar erkennen und zum anderen deutlich und freundlich kommunizieren. Die richtige Balance zu finden zwischen Abgrenzung und Verbundensein ist eine Lebensaufgabe.
Meine Klient:innen beschäftigen dann zum Beispiel solche Themen wie: Wie schaffe ich es, im stressigen Familienalltag meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und durchzusetzen? Wie kann ich meine Rente so gestalten, wie ich das möchte – ohne zu sehr darauf zu achten, was andere für Anforderungen an mich stellen? Sollte ich meine Beziehung beenden? Oder: Wie kann ich es hinkriegen, eine reife Beziehung anzufangen? Wieso habe ich ständig das Gefühl meine Freund:innen zu enttäuschen? Und was haben eigentlich meine Erfahrungen als Kind in meiner Herkunftsfamilie damit zu tun?
Was findest du an deiner Rolle als Therapeutin besonders schön?
Nichts interessiert mich so sehr wie das Innenleben von Menschen. Ich finde es total spannend und bereichernd, andere bei ihrer Veränderung und Heilung unterstützen zu dürfen. Ich finde es toll, dass meine Klient:innen mir ihr Vertrauen schenken, mir sehr persönliche Dinge erzählen und dass sie mir zutrauen, dass ich sie auf ihrem Weg unterstützen kann. Ich stehe ihnen gerne mit meinem Wissen, meinen Fähigkeiten, meiner Neugier und meinem Mitgefühl zur Seite. Und ich lerne auch von ihnen – wie meine Klient:innen mit Situationen umgehen, inspiriert mich immer wieder für mein eigenes Handeln.
Mehr über Judith Halbach erfahrt ihr auf ihrer Website: www.judithhalbach.de
Weiterführende Links:
Das Kind in dir muss Heimat finden
Die Psychologin Stefanie Stahl hat eine Problemlösestruktur entwickelt, die auf der Beziehung zu dem eigenen „inneren Kind“ basiert, und darüber ein Buch geschrieben.
Selbstmitgefühl – Das Übungsbuch
„Achtsames Selbstmitgefühl“ ist eine innere Haltung, die von Freundlichkeit, Verständnis und Fürsorge uns selbst gegenüber geprägt ist. Der Ansatz wurde von den amerikanischen Therapeut:innen Kristen Neff und Christopher Germer entwickelt und kann gerade in schwierigen Lebensphasen hilfreich sein. Das Übungsbuch will dabei helfen, diese Haltung für sich selbst zu entwickeln.
Die therapeutische Beziehung: Nur empathisch sein reicht nicht
Wie wichtig die Beziehung zwischen Klient:in und Therapeut:in ist und was passieren kann, wenn sie gestört ist, zeigt auch dieser Beitrag von Deutschlandfunk Kultur.
Kim schreibt, studiert und macht „Irgendwas mit Medien“. Wenn sie nicht gerade mit Kaffee am Schreibtisch sitzt, findet man sie hinter dem Herd oder auf dem nächsten Konzert. Ihr Herz schlägt für Tiere, veganes Schokoeis und Spaziergänge bei Nacht. Durch die Mitarbeit bei Locating Your Soul möchte sie dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen endlich genauso akzeptiert werden wie physische.
Hi, ich wünschte der Artikel wäre noch etwas länger und ausführlicher. Aber man kann nicht alles haben. 😉 VG
Ich würde mich gerne als Psychotherapeutin ausbilden lassen, weswegen ich diesen Artikel besonders interessant finde. Die humanistische Psychotherapie interessiert mich besonders und es freut mich sehr zu hören, dass eine therapeutische Beziehung im Rahmen dieser Therapieform so wichtig ist. Vielen Dank für dieses hilfreiche und inspirierende Interview.