Sorry & Entschuldigung

Auf einem blauen Hintergrund steht mehrfach Entschuldigung, Sorry und Tut mir leid

„Tut mir leid, dass ich morgen so früh los muss und du dann auch von meinem Wecker wach wirst“, sage ich zu meinem Freund vor dem Schlafengehen. Am nächsten Morgen habe ich einen wichtigen Arzttermin und fühle mich schlecht, weil ich vor ihm aufstehen muss und Sorge habe, dass er dadurch wach wird. 

„Entschuldigung, dass ich jetzt erst hier bin, weil mein Zug ausgefallen ist“, sage ich zu meiner Freundin. „Hä? Da kannst du doch nichts für“, erwidert sie.  

„Sorry, dass ich weine, weil es mir nicht gut geht und ich traurig bin“, schluchze ich und ernte einen bösen Blick von meinem Freund. „Dafür brauchst du dich doch wohl nicht entschuldigen“, sagt er und nimmt mich tröstend in den Arm. 

Ein Gefühl von Schuld

Im Alltag fällt mir immer wieder auf, dass ich mich für alles Mögliche entschuldige. Sehr oft bekomme ich von meinem Gegenüber die Reaktion, dass ich mich dafür doch nicht entschuldigen brauche. Bei anderen würde ich auch genauso reagieren. Trotzdem fühlt es sich für mich immer so an, als müsste ich mich für alles entschuldigen.

In letzter Zeit habe ich mich häufiger gefragt, woran das liegt. Hier sind meine Überlegungen dazu:

Soziale Angststörung: Durch meine Angststörung habe ich immer die Sorge, dass jemand etwas schlechtes von mir denkt. Jede Kleinigkeit könnte in den Augen meiner Angst dazu führen, dass mein Gegenüber mich ablehnt. Dadurch wirken auch die kleinsten Dinge für mich so, als ob ich mich entschuldigen müsste. In der Hoffnung, dass mein Gegenüber mir das dann weniger übel nimmt. 

Kindheitserfahrungen: Ich weiß noch, dass ich als Kind Schwierigkeiten damit hatte, mich zu entschuldigen. Ich war dann wie erstarrt und konnte keinen Ton mehr rausbringen. Die angespannte Stimmung hat mich immer direkt so überfordert, dass ich wie eingefroren war. Auch ausgelöst dadurch, dass der Ärger meines Gegenübers meist durch Anschreien an mir ausgelassen wurde. Vielleicht ist das ständige Entschuldigen jetzt eine Art Kompensation, um mich nicht mehr so machtlos zu fühlen. 

Schuldgefühle als Angehörige: Vielleicht spielen auch meine Erfahrungen als Tochter eines psychisch erkrankten Vaters hier eine Rolle. Sehr wahrscheinlich sogar, denn es hat schließlich meine Kindheit und Jugend stark geprägt. Schon recht früh hat sich ein Schuldgefühl bei mir eingeschlichen: Ist Papa wegen mir erkrankt? War ich ein zu anstrengendes Kind? Hätte ich mich anders verhalten sollen? Bin ich so eine schlechte Tochter, dass es sich nicht gelohnt hat, gegen die Erkrankung zu kämpfen und sich Hilfe zu suchen? Hätte ich mehr helfen müssen? All diese Fragen haben dazu beigetragen, dass ich mich auch außerhalb dieses Kontextes ständig für alles verantwortlich und schuldig fühle.  

Was bedeutet das jetzt für mich? Ich habe keine Ahnung. Ich habe schon mehrfach versucht, bewusst darauf zu achten, wie oft und wofür ich mich im Alltag entschuldige und mich zu fragen: Braucht es gerade wirklich eine Entschuldigung oder redet mein Gefühl mir das nur ein? Manchmal klappt es, mir die Entschuldigung dann zu verkneifen. Oft aber auch nicht. Vielleicht ist das auch gar nicht das Hauptproblem, sondern das Gefühl von ständiger Schuld. (Sehr wahrscheinlich sogar.) Und vielleicht bin ich da auch wieder zu ungeduldig mit mir. Schließlich hat mich das Gefühl über eine sehr lange Zeit begleitet und kann nicht einfach so von heute auf morgen verschwinden. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht irgendwann so werden kann.

Mandy, Redakteurin

Ich bin Mandy, 28 Jahre alt und mit einem alkoholkranken Vater aufgewachsen. In meiner Kindheit hätte ich mir gewünscht, dass mehr über psychische Erkrankungen gesprochen wird. Denn dann hätte ich mich vielleicht ein bisschen weniger allein und überfordert gefühlt. Auch jetzt gibt es immer noch viel zu viele Vorurteile, die Betroffene und Angehörige zusätzlich belasten. Deshalb freue ich mich, mit Locating Your Soul einen Beitrag zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu leisten.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert