Schwarztee mit Honig
Ich trinke meinen Tee schwarz oder grün. Keine Milch, kein Honig.
Du trinkst deinen Tee manchmal mit Kondensmilch, meist mit Honig, immer stark. Die Tassen hatten dunkelbraune Ränder vom Tee. Im Hochsommer hast du noch mehr Tee getrunken als sonst, weil man ihn in Indien auch gegen die Hitze trinken würde.
Das Honigglas auf dem Küchentisch wurde immer schnell leer. Wenn der Satz am Boden erreicht war, hast du das Glas mit heißem Tee aufgegossen, um den Rest Honig zu lösen.
Manchmal stand das Glas auch eine Weile so gefüllt rum. Es sah aus wie altes Spülwasser und schmeckte zu süß und zu bitter zugleich.
Egal, wie du deinen Tee getrunken hast – für mich hast du dabei immer Ruhe ausgestrahlt.
Egal, was anstand – du hast erstmal einen Tee getrunken. Egal, wie gestresst alle um dich rum waren – Erstmal einen Tee trinken war wie dein Lebensmotto. Während alle ungeduldig wurden, warst du die Ruhe selbst mit deinen vergilbten Tassen, den gefüllten Honiggläsern und der selbstgedrehten Zigarette in der Hand.
Bis zu diesem einen Tag im Herbst, an dem du nicht mehr ruhig warst. An diesem Tag warst du der Überzeugung, dass dein Tee vergiftet worden wäre. An diesem Tag hattest du Todesangst und niemand konnte sie dir nehmen. An diesem Tag wurdest du eingewiesen.
Ich war nicht da, ich war zu klein. Aber ich hätte dir die Angst so gern genommen.
Seitdem hast du diese Angst und unsere Beziehung ist nicht mehr dieselbe. Deine Angst wurde immer schlimmer. Ich kann sie dir bis heute nicht nehmen, ich konnte nie mit dir darüber reden, obwohl ich es mir immer wieder vornahm.
Umso älter ich wurde, desto mehr wurdest du für mich zur Gefahr. Weil ich wegen deiner Angst für dich zur Gefahr wurde.
Und ein mit Tee gefülltes Honigglas steht nicht mehr auf
dem Küchentisch.
Aber immer, wenn ich gefragt werden, warum ich im Hochsommer Schwarztee trinke, denke ich an dich. Wenn ein Honigglas einen Bodensatz hat, denke ich an dich. Immer, wenn sich jemand über meine Tassen mit Teerändern beschwert, denke ich an dich.
Und wenn ich aus versehen mal einen Tee mit Honig trinke, sehe ich die Sonne auf deinen Küchentisch scheinen, dich daran sitzend mit dem Glas voll süßem Tee in der Hand.