Sprechen über gesellschaftliche Tabus, Bodyshaming und psychische Gesundheit von Jaqueline Scheiber
Wer Jaqueline Scheibers Werke und Texte kennt, weiß, dass sie Worte findet für Dinge, die oft unausgesprochen bleiben. So bespricht sie in ihrem neuesten Buch ihre Sichtweisen zu Themen wie Klassismus, Bodyshaming, psychische Erkrankung und Freund:innenschaft.
Dass Sprache ihr Mittel der Wahl ist, beweist sie immer wieder durch ihre lebhafte Wortgewandtheit. So kreiert sie Sprachbilder für ein tieferes Verständnis und eine einprägsame Anschaulichkeit ihrer abstrakten Themen.
In ihrem ersten Buch „Offenheit“, für unseren Blog rezensiert unter „Aus Trümmern zum Traumhaus“, spricht sie über die Ausgestaltung verschiedener Räumlichkeiten im Laufe ihres Lebens als Sinnbild für die Wichtigkeit des Veränderlichen (https://locating-your-soul.de/offenheit-rezension/).
In „Ungeschönt“ geht sie den vermeintlich unveränderlichen äußeren Bedingungen an die Substanz und zeigt sich vulnerabel. Wie in allen ihren Texten macht sie ihr Privates zur Projektions- und Lernfläche für andere Menschen zugänglich. Jaqueline Scheiber beschreibt sich selbst als Leuchtreklame, dessen Fläche es zu nutzen gilt. Denn alle Menschen sind unterschiedlich gestrickt und für sie ist ihr Vorgehen das, welches sich am stimmigsten anfühlt. Dabei ist sie stets darauf bedacht, ihren Weg nicht als richtig oder falsch zu deklarieren. Die Art und Weise, wie sie über ihre Lebensgeschichte spricht, empfinde ich als enorm heilsam. Gerade in den Kapiteln zur psychischen Gesundheit und dem Umgang damit findet sie Worte, die beschreiben, was so viele Menschen nicht fassen können und stattdessen verurteilen. Ihre Sichtweise auf und Erfahrung mit Bildung und Herkunft räumt mit Intoleranzen auf:
„Was mich jedoch mittlerweile sehr stört, ist ein gesellschaftlicher Diskurs, der mit einer gewissen Überheblichkeit und Arroganz auf eine niedrigere Bildungsschicht blickt und dabei die Lebensentwürfe und Entscheidungen dieser Menschen abwertet.“ (S. 27)
Sie beschreibt Menschen als Expert:innen ihrer eigenen Lebensrealität und alle menschlichen Wesen als gleichwertig. Neben ihrer eigenen Geschichte, die sie schon in ihrem Buch „Offenheit“ beschreibt, widmet sich Jaqueline hier nun intensiver dem Thema der Körperwahrnehmung und ihrem Weg zu einer Body Neutrality.
„[Body Neutrality] bewertet nicht, es bricht das Konzept Schönheit auf den Kern herunter: Funktionalität“ (S. 53). Darin enthalten sind auch Körper, die im öffentlichen Raum mit Barrieren zu kämpfen haben und deren Behinderungen sie erst durch die Exklusivität eines Raumes daran hindert, zu partizipieren.
Großer Pluspunkt: Begriffe wie FLINTA*, Klassismus und Ally werden erklärt und nicht als gegeben vorausgesetzt, was ich als sehr bereichernd empfinde.
Zwischenmenschliche Beziehungen, wie die Freund:innenschaft, sind für Jaqueline Scheiber essentiell. Sie beschreibt sie als Anker und Halt in dunklen Zeiten.
Ihre Weltanschauung und Werte legt sie mit einer unverblümten Offenheit dar und beschreibt diese ungeschönt auf zugängliche Art und Weise. Sie findet Worte, die es ermöglichen, diese wichtigen Themen zu begreifen und sich selbst und die eigenen Denkmuster zu hinterfragen. Ihr autobiografischer Bezug erleichtert das Einfühlen in die Thematik und hilft, eigene Privilegien zu erkennen und zu reflektieren. Sie beschreibt diesen Prozess als das Abtragen von Fassaden, um zu begreifen, woraus die Rohmasse gefertigt ist.
Literatur und Profilempfehlung:
https://www.piper.de/buecher/ungeschoent-isbn-978-3-492-31148-9
https://www.instagram.com/minusgold/