Content Note: Suiziddrohung
Nicht allein
Über die Bedeutung von meinen Mitangehörigen
Vor einigen Wochen war Weihnachten. Wie für viele Kinder mit getrennten Eltern ist es auch für meine Schwester und mich an diesen Tagen oft ein Drahtseilakt, beiden Elternteilen gerecht zu werden – sich selbst im besten Falle auch. Hinzu kommt, dass Treffen mit meinem psychisch kranken Vater auch abgesehen von Weihnachten meistens herausfordernd sind.
Um es kurz zu machen: Positiv anzumerken ist, dass mein Vater an Weihnachten mittags zum vereinbarten Treffen im Café kam und nicht kurzfristig abgesagt hat. Aber alles, was folgte, war eine mittlere Katastrophe. Es gab Streit und meine Schwester und ich bekamen mal wieder die Verantwortung für die Emotionen meines Vaters aufgedrückt. Als wäre das nicht schon genug Drama am „Fest der Liebe“ hat er am Ende noch mit Suizid gedroht. Rational betrachtet war das einfach nur ein Ausdruck seiner puren Verzweiflung über die Situation. Ich versuche es nüchtern zu schreiben, weil ich immer noch fassungslos über diese Entgleisung bin, aber ich muss auch sagen, dass Treffen dieser Art leider schon fast der ganz normale Wahnsinn sind und es nicht zum ersten Mal vorkam. In diesem Beitrag soll es allerdings nicht weiter um das Treffen oder meinen Vater selbst gehen.
Was passierte dann? Meine Schwester und ich verließen das Café fast schweigend, wie geplättet und leer fühlten wir uns. Was genau war das eben? Mit einem Kloß im Bauch stapften wir verwirrt vom Café aus zum Haus von Mama. Wir erreichten gerade den Vorgarten, als sie zeitgleich von ihren Erledigungen zurückkam. Vorfreudig auf einen schönen Weihnachtsnachmittag und -abend mit uns strahlte sie uns an und fragte: „Wie war‘s, hattet ihr ein schönes Treffen mit Papa?“ Meine Schwester und ich schüttelten den Kopf. „Es war eine Katastrophe!“, stellte ich fest und sagte, ich wüsste gar nicht, wie ich mich fühlen soll.
Was folgte, war etwas, was ich genau wie die Katastrophen mit meinem Vater schon mein halbes Leben kenne: Unsere kleine Familien-Selbsthilfegruppe. Meine Schwester, Mama und ich schafften es gar nicht bis nach drinnen. Wir blieben einfach im Vorgarten stehen und erzählten, was passiert war. Sie hörte zu. Während meine Schwester und ich sprachen, konnten sich unsere Gedanken im Kopf etwas sortieren. Aus dem diffusen Unwohlsein und der Sprachlosigkeit formten sich konkrete Gefühle und Mama ermutigte uns, sauer zu sein. Wut ist eine Emotion, die für uns schwierig zu fühlen ist. Darf man auf einen psychisch kranken Menschen sauer sein? Schließlich macht Papa das doch alles nicht mit Absicht. Mama war das ausgleichende Element. Sie bestärkte uns und brachte ihren neutralen Blick ein. Neutral, aber doch auch emotional, denn auch sie hätte uns ein harmonischeres Treffen gewünscht.
Wir standen bestimmt eine halbe Stunde im Vorgarten und während wir redeten und uns gegenseitig Halt gaben, fand dennoch auch immer wieder Humor Eingang in unsere Gespräche. Humor begleitet uns als Familie schon lange und immer wieder merke ich, wie sehr das hilft. So, als wären manche Situationen nicht anders zu ertragen. Galgenhumor nennt man das wohl. Und was ich auch merke: Wie sehr uns drei Frauen das zusammenschweißt.
Wir haben unsere Unterschiede, wir streiten, wir sehen uns nicht jede Woche. Aber in solchen Momenten merke ich, wie nah wir uns sind. Wie uns unser Schicksal zusammengebracht hat. Und ich weiß: Niemand versteht mich und meine Gefühle so gut, wie meine Mama und meine Schwester. Es tut unendlich gut, seine Sorgen teilen zu können und auf Verständnis zu stoßen. Und so kann man diesem ganzen großen Mist doch etwas Schönes abgewinnen. Die nächste Krise mit Papa wird kommen, das bringt seine Krankheit mit sich, aber ich weiß, dass ich nicht allein bin. Dafür bin ich so dankbar.

Ich bin Lara, 30 Jahre, Kölnerin, und wünsche mir, dass es endlich normal ist, über psychische Krisen und Erkrankungen zu sprechen, ohne dass man als Angehörige*r oder Betroffene*r Angst vor Stigmatisierung haben muss. Nur wenn wir unsere Geschichten teilen, können wir das Thema raus aus der Tabuzone holen. Dazu möchte ich beitragen, in dem ich bei Locating Your Soul mitmache.