Meine Emetophobie und ich – Teil 2
In meinem ersten Beitrag zur Emetophobie habe ich darüber berichtet, was Emetophobie überhaupt ist, wie die Angst bei mir begann und in welchen Bereichen des Lebens mich die Angst eingeschränkt hat. In diesem zweiten Teil möchte ich darüber berichten, welche Ursachen die Angst bei mir hat und wie ich in der Gegenwart mit der Emetophobie lebe.
Auf Ursachenforschung
Als ich mich traute, mich meiner Psychologin gegenüber zu öffnen, versuchten wir, herauszufinden, welche Ursache die Angst hat.
Wir fanden heraus, dass die Emetophobie in engem Zusammenhang mit Kontrollverlust steht. Aus zeitlicher Sicht ergab diese Ursache Sinn: Die Angst begann, als ich das erste Mal aus meinem Elternhaus ausgezogen bin – und somit in gewissem Maße Kontrolle abgeben musste bzw. plötzlich über vieles keine Kontrolle mehr hatte, insbesondere was den Umgang mit meiner Mutter und ihrer psychischen Erkrankung betraf. Über die Erkrankung meiner Mutter hatte ich keine Kontrolle, ich konnte nicht beeinflussen, wie es ihr geht und welche Auswirkungen die psychische Erkrankung auf ihr Leben hatte. Aber ich konnte mein Leben in sämtlichen Bereichen versuchen, zu kontrollieren. Und Kontrolle gab mir Sicherheit in einem Leben, in dem sehr vieles unsicher war. So begründe ich mir auch die Ursache meiner Emetophobie – denn Erbrechen ist für mich Kontrollverlust, da ich nicht beeinflussen kann, wann und ob es passiert. Auch meine soziale Phobie war und ist in diesem Zusammenhang nicht besonders förderlich für die Emetophobie. Erbrechen ist für mich mit Scham behaftet und Scham spielt eine große Rolle bei meiner sozialen Phobie.
Meine Psychologin und ich arbeiteten mit der Konfrontationstherapie und sprachen viel über die Ursachen meiner Angst. Insbesondere die Ursachen der Angst zu kennen und zu verstehen, war für mich ein sehr wichtiger Faktor, um besser mit der Angst leben zu können. Im Rahmen der Konfrontationstherapie übte ich, Bilder oder Videos anzuschauen, in denen sich Menschen übergeben mussten. Zu meiner Therapie gehörte auch, in mir fremden Restaurants zu essen, Lebensmittel noch über das Mindesthaltbarkeitsdatum zu verzehren sowie meine Hände nach dem nach Hause kommen nicht mehrmals zu waschen und zu desinfizieren, wie ich es sonst immer getan habe. Das Ziel dieser Konfrontationen war, dass ich meinen Alltag wieder entspannter leben kann. Ebenso sollte ich durch direkte Konfrontation mit meiner Angst erlernen, dass nicht hinter jeder vermeintlich “gefährlichen” Situation tatsächlich Gefahr (in Form von Erbrechen & Übelkeit) droht.
Ich lernte auch, die Angst zu akzeptieren und nicht gegen die Angst zu arbeiten. Dazu gehörte, meinen Körper besser zu verstehen sowie körperliche und psychische Symptome besser zu unterscheiden.
Die Gegenwart
Heute ist meine Emetophobie noch immer da und ich vermute, dass ich niemals ganz ohne diese Angst leben werde. Sie wird mich auf gewisse Weise immer in meinem Leben begleiten. Aber die Emetophobie ist weniger stark ausgeprägt und die Angst steht nicht mehr jeden Tag im Vordergrund meines Lebens. Ich habe gelernt, besser mit akuten Situationen umzugehen.
Wenn ich akut Angst habe, dann spreche ich mittlerweile darüber. Ich rede mit meinem Partner oder rufe eine Freundin an. Oft hilft es mir dann, die Angst aus einer anderen Perspektive zu betrachten und neu zu bewerten.
Mit meinen Artikeln zur Emetophobie möchte ich anderen Betroffenen dieser spezifischen Phobie Mut machen, die Hoffnung nie aufzugeben, dass es bessere Zeiten geben wird und akute Angstzustände vorbeigehen werden. Auch möchte ich Mut machen, über die Angst zu sprechen, auch wenn es manchmal schwerfällt. Ich denke, je mehr über Emetophobie (und natürlich auch andere Phobien) gesprochen wird, desto weniger fühlen sich Betroffene alleine und andere Personen können einfühlsamer auf die Betroffenen reagieren – und sie somit in akuten Situationen unterstützen.

Offen über psychische Erkrankungen reden und darüber, wie das Leben als Angehörige sein kann – für mich war das früher als Teenager nicht möglich. Aber ich wünschte mir schon damals mehr Offenheit zu diesem Thema sowie einen Austausch mit anderen Angehörigen, um zu merken, dass ich nicht alleine bin. Mit meiner Arbeit bei Locating Your Soul möchte ich dazu beitragen, dass es endlich normal wird, über psychische Erkrankungen zu sprechen – oder zu schreiben.