Leben ist Bewegung und Bewegung geschieht im und mit dem Körper. Wir brauchen unseren Körper und trotzdem haben wir oft kein gutes Verhältnis zu ihm. Wir haben Schwierigkeiten damit, die Beziehung zu ihm zu spüren. Beim Tanzen kommen wir mit unserem Körper in Kontakt. Wir spüren in uns hinein, spüren die Muskeln und Bewegungen. Tanzen bietet eine Ausdrucksmöglichkeit für Gefühle und Gedanken, die sich nicht in Worte fassen lassen. Deshalb wird das Tanzen auch therapeutisch genutzt – in der Tanztherapie. Aber was ist Tanztherapie eigentlich und für wen ist dieses Therapieverfahren geeignet? Das haben wir zwei Tanztherapeut*innen gefragt.
Wenn Worte nicht reichen
Maria Edert ist Diplom Sozialpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie arbeitet tanztherapeutisch, leibtherapeutisch und kreativ traumatherapeutisch. Seit fast 30 Jahren bietet sie für Gruppen eine Kombination aus Ausdruckstanz und tanztherapeutischen Elementen an. Ihren TanzRaum in Bielefeld betreibt sie seit 2002, in dem sie mittlerweile überwiegend einzeltherapeutisch arbeitet. Ihr Fokus liegt dabei auf Traumaarbeit.
Was ist Tanztherapie?
Die Tanztherapie hat ihre Wurzeln in der Gestalttherapie, die den ganzen Menschen im Blick hat. „Der ganze Mensch“ meint ein Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist. Jede Zelle im Körper hat Selbstheilungskräfte und Regenerationsmöglichkeiten. Doch über diese Fähigkeiten legen sich im Laufe des Lebens andere Informationen: Prägungen, Einschärfungen, Verletzungen genauso wie Umwelteinflüsse, unsere Ernährungsgewohnheiten, etc. Dadurch kommt der Körper gar nicht mehr an die darunter liegenden selbstheilenden Information heran. In jeder Zelle ist alles gespeichert, in unserem Körper ist alles gespeichert. In der Tanztherapie steht also der Körper des „ganzen Menschen“ im Mittelpunkt. Dabei helfen unterschiedliche kreativtherapeutische Zugänge und Methoden, um auf leichte, vielleicht auch spielerische Art und Weise einen Ausdruck für das innere Erleben zu finden.
Tanztherapie heißt nicht, dass die ganze Zeit „rumgehopst“ wird – es wird immer wieder Bezug zu dem Körper genommen. Wenn jemand Angst hat, könnte z.B. die Frage sein: Wo im Körper spürst du das? Wo sitzt die Angst? Und wo im Körper gibt es ein gegenteiliges Gefühl, aus dem du Stärke ziehen kannst? Wie können diese in Kontakt treten? In der Tanztherapie wird auch gesprochen, doch manchmal fehlen die Worte. Dann gibt es vielleicht eine Geste, eine Haltung, eine Bewegung, einen Ton oder eine Farbe, die das innere Erleben ausdrücken kann. Tanztherapie ist für mich die beste und leichteste Art, um mit dem eigenen Körper, dem inneren Erleben und Fühlen in den Kontakt zu kommen. Der Körper steht immer im Mittelpunkt.
Wie läuft eine Tanztherapie ab?
Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten. So vielfältig wie die Menschen sind, genauso vielfältig sind die Zugänge und Möglichkeiten mit den mitgebrachten Themen, dem was jetzt Raum haben möchte, den Raum zu geben. Am Anfang stehen wir erst einmal und schauen: Wie spüre ich meinen Körper? Jetzt, heute? Wie nehme ich ihn wahr? Mir ist es wichtig den jeweiligen Stärken und Ressourcen Raum zu geben. Auch ist wichtig wahrzunehmen und anzuerkennen, was bisher die eigenen Selbsthilfe-Strategien sind/waren.
Ansonsten ist der Ablauf jedes Mal abhängig von dem, was die Person mitbringt. Ich freue mich am Eigensinn im Sinne von: Einen Sinn für das Eigene! Was tut dir gut? Was machst du gerne? Was sind deine Stärken und Ressourcen? Diese Blickrichtung hat automatisch Auswirkungen auf das Schwere, auf Blockaden, auf das was Not macht und kann die Lebensenergie wieder zum Fließen bringen.
Mein Schwerpunkt liegt mittlerweile in der einzeltherapeutischen Arbeit, aber ich habe auch immer noch Gruppen, bei denen wir eine Mischung aus Tanztherapie- und Ausdruckstanz-Elementen tanzen. Es sind maximal zehn Leute in einer Gruppe. Wir beginnen immer mit einem Eintanzen: Wir bewegen uns durch den ganzen Körper und „be-greifen“ dabei neugierig, wie wir uns bewegen können. Ich nehme dabei auch gerne Bilder mit auf, beispielsweise: Stell dir vor, du hast an jeder Fingerspitze eine Glühbirne und kannst mit unterschiedlicher Bewegungsdynamik die Helligkeit der Glühbirne variieren. Durch solche Bilder können eigene Bewegungsmuster aufweichen.
Mit welchen Themen kommen die Menschen in die Tanztherapie?
Die Menschen kommen mit ganz unterschiedlichen Themen in die Tanztherapie. Einige kommen mit klar umrissenen Fragestellungen, wollen für bestimmte Themen einen Ausdruck finden. Andere kommen auf der Suche nach ganzheitlicher Begleitung durch psychische Krisen. Wieder andere wollen dem eigenen Körper, der vielleicht viel auszuhalten hatte, etwas Gutes tun. Finden in der Bewegung zu sich und ihrer inneren Kraft und Stärke zurück. Und es gibt Menschen, die einen kreativen Psychotherapieansatz suchen, der den ganzen Menschen, Körper, Seele und Geist mit einbezieht.
Für wen ist Tanztherapie besonders geeignet?
Tanztherapie ist für alle geeignet! Viele Klient*innen, die zu mir kommen, sind traumatisiert. Bei vielen gibt es Ängste und Depressionen, aber auch alle anderen Formen psychischer Beeinträchtigung. Ich arbeite auch gerne mit Menschen mit geistiger Behinderung, denn Gefühle sind nicht geistig behindert!
Es ist nicht immer einfach, sich mit sich selbst zu beschäftigen, aber übers Bewegen ist es ein bisschen leichter. Einige Klient*innen gehen auch gleichzeitig zu einer Psychotherapie; ich finde, das geht gut zu kombinieren. Was man dort „im Kopf“ erarbeitet, kann man in der Tanztherapie in den Körper holen, mit Bewegungen umsetzen und dadurch nochmal anders erleben.
Wie lang geht eine Tanztherapie? Wie ist das mit den Kosten?
Eine Einzelstunde dauert in der Regel 60 Minuten. Bei einer Klientin sind es aber auch 90 Minuten, weil es für sie so besser ist. Der Zeitraum ist auch immer individuell. Es gibt Klient*innen, die nur drei, vier Mal kommen und sich dann in Notfällen melden, wenn sie wieder ein Thema haben, das sie sich in der Tanztherapie anschauen möchten. Bei anderen Klient*innen bin ich Teil des Stabilisierungsnetzes, teilweise auch schon über Jahre.
Als Heilpraktiker*in habe ich keine Krankenkassenanerkennung, deshalb müssen die Kosten meist selbst getragen werden. Es gibt aber auch die Möglichkeit sich eine Tanztherapie finanzieren zu lassen. Z.B. über den Fonds Sexueller Missbrauch oder über Angebote aus dem Ergänzenden Hilfesystem. Außerdem ist es bei Menschen mit Behinderung (egal ob geistige oder psychische Behinderung) möglich, das persönliche Budget dafür zu nutzen.
Wie war dein Weg, Tanztherapeutin zu werden?
Ich war ursprünglich Erzieherin und habe dann die Diakonenausbildung gemacht. Wenn man das erste Diakonenexamen hat, schließen sich verschiedene Aufbauausbildungen an. Erst hatte ich keine Idee, in welchem Bereich ich die machen könnte, aber dann hat eine Kommilitonin zu mir gesagt: „Du tanzt doch so gerne, mach doch was mit Tanz.“ Damit begann meine „Berufung“.
Nach der Tanz-Sozialtherapeuten Ausbildung habe ich dann noch die Ausbildung zur kreativen Leibtherapeutin gemacht. Im Laufe der Zeit bin ich immer mehr ins therapeutische Arbeiten gekommen, habe den Heilpraktiker für Psychotherapie gemacht sowie eine Ausbildung zur kreativen Traumatherapeutin angeschlossen.
Was bedeutet Tanzen für dich? Und was magst du an deinem Beruf?
Ich liebe es zu Tanzen! Beim Tanzen bin ich mit mir verbunden. Manchmal bin ich weit beim Tanzen, aber manchmal auch eng. Ich bin, was ich bin. Hier und jetzt, die Gefühle, die jetzt sind. Manchmal mache ich eine Bewegung viele Male, weil sie sich gerade schön anfühlt. Das darf sein. Tanzen ist Bewegung und Leben ist Bewegung.
Und ich liebe meine Arbeit! Ich vergleiche sie gerne mit der Arbeit einer Hebamme: Ich darf dabei sein, wenn neues Leben (Lebendigkeit) entsteht. Jeder Mensch ist verschieden und das macht es so spannend. Meine Praxis heißt „Tanz-Raum“, weil ich Raum bieten möchte für das was da ist! Jeder Mensch ist einzigartig, bringt seine oder ihre Geschichte mit und ist eigen. Was für ein Schatz!
Eine Verbindung von Körper, Geist und Seele
Dirk Kazmierczak ist Tanztherapeut, Choreograph und Dozent am Deutschen Institut für tiefenpsychologische Tanz- und Ausdruckstherapie. Durch seine langjährige Tanzerfahrung als Solist hat der Tanz schon immer eine große Bedeutung für ihn: Tanzen hilft, um mit dem eigenen Körper in Kontakt zu kommen und das eigene Körperbewusstsein zu stärken. Das möchte er in seiner Arbeit weitergeben.
Weiterführende Links:
Berufsverband der Tanztherapeut*innen Deutschlands e.V.
Deutsches Institut für Tiefenpsychologische Tanz- und Ausdruckstherapie e.V.
Ich bin Mandy, 28 Jahre alt und mit einem alkoholkranken Vater aufgewachsen. In meiner Kindheit hätte ich mir gewünscht, dass mehr über psychische Erkrankungen gesprochen wird. Denn dann hätte ich mich vielleicht ein bisschen weniger allein und überfordert gefühlt. Auch jetzt gibt es immer noch viel zu viele Vorurteile, die Betroffene und Angehörige zusätzlich belasten. Deshalb freue ich mich, mit Locating Your Soul einen Beitrag zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu leisten.