Herausforderungen beim Sprechen über psychische Erkrankungen
Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden, heißt es. Doch gerade wenn es um psychische Erkrankungen geht, ist das gar nicht so einfach. Das gesellschaftliche Bild über diese Krankheitsbilder hat sich zwar schon verbessert, wird aber immer noch von Vorstellungen aus der Vergangenheit geprägt. Vorurteile führen immer wieder zu Stigmatisierung – auch in der Fachwelt.
Mit Sprache und Narration im psychiatrischen Kontext hat sich ebenfalls die Zeitschrift Sozialpsychiatrische Informationen beschäftigt (Ausgabe 3/2022).
Über Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen sprechen
Reden hilft. Das hat sicherlich jede:r von uns auch selbst schon erlebt. Sprache ist wichtig für die Kommunikation und gibt uns die Möglichkeit, mit Anderen zu interagieren. Das schafft Gemeinschaft. Auch in der Psychotherapie ist Reden ein wichtiger Bestandteil. Wenn wir etwas aussprechen, werden unsere Gedanken greifbarer und wir können uns intensiver mit ihnen auseinandersetzen.
Über psychische Erkrankungen zu sprechen ist allerdings gar nicht so einfach und mit Herausforderungen verbunden. Im Rahmen der Entstigmatisierung wird immer schnell gefordert: Wir müssen einfach mehr darüber sprechen! Doch so einfach ist das nun mal nicht und es fehlt oft das Bewusstsein für die Schwierigkeiten, die damit einhergehen. Das kann zum einen die Sorge vor Vorurteilen und Stigmatisierung sein, zum anderen aber auch die Schwierigkeit, die eigenen Gefühle und das Erleben der Erkrankung überhaupt in Worte zu fassen.
Anke Maatz, Yvonne Ilg und Henrike Wiemer betonen in ihrem Artikel Einfach drüber reden?, dass wir uns diese Schwierigkeiten bewusst machen müssen, um kommunikative Lösungen zu suchen (und bestenfalls dann auch zu finden). In einer interdisziplinären Untersuchung zu den Schwierigkeiten beim Reden über Erfahrungen psychischer Erkrankungen wurde deutlich, dass es einfacher ist, über „man“ oder „es“ zu sprechen als über „ich“ und die Krankheit beim Namen zu nennen. Unpersönliche Formulierungen schaffen eine gewisse Distanz und erleichtern es dadurch, über diese Themen zu sprechen.
Sprache von psychiatrischen Fachpersonen
Anders ist es in der Fachwelt; dort werden Krankheiten beim Namen genannt. Fachsprache soll wertfrei und präzise sein, doch Betroffene fühlen sich dadurch oft nicht richtig verstanden. Denn „Sprache ist niemals völlig neutral“, schreibt Daniel Nischk vom Zentrum für Psychiatrie in Reichenau. Fachsprache könne auch ein Machtgefälle ausdrücken und zu Missverständnissen führen. Begriffe wecken immer Assoziationen, die mit persönlichen Erfahrungen und damit auch mit Bewertungen verbunden sind. Nischk betont in seinem Artikel Psychiatrische Sprache. Wie psychiatrisch Tätige sich und andere bevorurteilen, dass auch psychiatrisch Tätige nicht davor geschützt sind, Vorurteile zu haben.
Häufig kommt es dadurch dazu, dass sich Betroffene auf ihre Diagnose reduziert und nicht als Mensch gesehen und wahrgenommen fühlen. Nischk hebt deshalb die Wichtigkeit hervor, bewusst mit Sprache umzugehen und den eigenen Sprachgebrauch regelmäßig zu reflektieren. Er geht sogar so weit, dass er dafür plädiert, das Wort „Krankheit“ zu vermeiden, da der Begriff beispielsweise schnell mit dem Adjektiv „chronisch“ assoziiert werde.
Die Sicht dazwischen
In der Sozialpsychiatrischen Informationen kommen auch zwei Genesungsbegleiter:innen zu Wort. Genesungsbegleiter:innen sind Expert:innen aus Erfahrung und können durch ihre eigenen Krankheitserfahrungen noch eine ganz andere Perspektive einnehmen. Genesungsbegleiterin Gwen Schulz bestätigt den Eindruck von Betroffenen, auf die Diagnose reduziert zu werden. Die Sprache im Team beschreibt sie als „[d]en Menschen nicht als gleichwertigen Menschen beschreibend, sondern als Symptomträger reduzierend, krank. Kein Mensch wie du und ich. Die Sprache ist abgrenzend und schützt vielleicht dadurch davor, sich vorzustellen, man könnte selbst in der vergleichbaren Not sein. Sie bemüht sich nicht wirklich um verstehen“.
Es kann aber auch anders sein: „[I]ch [stoße] auf Interesse und den Willen, zu verstehen, was bestimmte Sprache für Patient:innen bedeuten kann und die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen“, berichtet Genesungsbegleiterin Claudia Franck. Es hängt also auch immer individuell von den Menschen ab, ob sie bereit sind, ihre Einstellungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit zu reflektieren und im besten Fall dann auch zum Positiven zu verändern.
In der Zeitschrift Sozialpsychiatrische Informationen (Ausgabe 3/2022) gibt es weitere interessante Artikel über Sprache und Narration im psychiatrischen Kontext. Zum Beispiel analysiert Natalie Gittner die Sprachbilder in den Erzählungen depressiv erkrankter Männer und mehrere Betroffene von psychischen Erkrankungen erzählen von Sätzen, die für sie in ihren Krisenerfahrungen wichtig waren.
Zur Ausgabe: https://psychiatrie-verlag.de/product/sozialpsychiatrische-informationen-3-2022/

Ich bin Mandy, 28 Jahre alt und mit einem alkoholkranken Vater aufgewachsen. In meiner Kindheit hätte ich mir gewünscht, dass mehr über psychische Erkrankungen gesprochen wird. Denn dann hätte ich mich vielleicht ein bisschen weniger allein und überfordert gefühlt. Auch jetzt gibt es immer noch viel zu viele Vorurteile, die Betroffene und Angehörige zusätzlich belasten. Deshalb freue ich mich, mit Locating Your Soul einen Beitrag zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen zu leisten.