Buchrezension: Eine IKEA-Anleitung zur Selbstreflexion

Ein Buch mit türkisfarbenem Cover und dem Titel "Meine Reise zu mir selbst" in den Farben weiß und gold liegt auf einem holzfarbenem Hintergund. Der Untertitel steht darunter in schwarzen Buchstaben: Finde die Antworten in dir selbst, die dir sonst niemand beantworten kann. Um das Buch herum sind lilafarbene Kreise ins Bild eingefügt worden.
Es geht nicht darum, wo und wer du aktuell bist. Es geht darum, wohin du möchtest und wer du werden willst.

Vorgestellt wird das Buch in Form eines Ratgebers Meine Reise zu mir selbst – Finde die Antwort in dir, die dir sonst niemand beantworten kann von Sabrina Fleisch, Inhaberin der Lernwerkstatt in Linz, Angst- und Stressbewältigungstrainerin, systemische Beraterin, Counselling Practitioner und Bachelor of Arts, aus dem Jahr 2021. Erschienen ist das Buch über den Remote Verlag.

Inhalt

Sabrina Fleisch hat in ihrem Werk auf 376 Seiten Inhalte, Fragen und Übungen zum Thema: Wer bin ich und warum lebe ich mein Leben so, wie ich es in diesem Moment tue, v.a. im Rahmen von Motivation, Gewohnheiten, Lernerfahrungen, Wahrnehmung, Stress und Angst, niedergeschrieben. Untermalt werden die Informationen nicht nur mit einer Masse an Fragestellungen und Übungen, sondern auch mit Gleichnissen und passenden Geschichten. Zu Beginn des Buches garantiert sie, dass bei sorgfältiger und ernsthafter Ausarbeitung des Werks sich das […] Leben grundsätzlich verändern wird. Es folgt eine Anleitung, die dazu anregt, sich einen Zeitplan zu erstellen, um mit dem Buch zu arbeiten und steigt damit direkt in eines der Kernthemen ein – Selbstmanagement. Danach wird erarbeitet, warum der Weg der Selbstfindung und Veränderung begangen werden möchte. Was ist mir wichtig im Leben? Wie stelle ich mir das Leben vor, dass ich führen möchte, und was hindert mich daran, diese Vorstellungen zu verwirklichen? Es werden sich die persönlichen Lebensbereiche angeschaut und Ziele gesetzt, Ziele konkret sowie realistisch definiert und reflektiert. Schritt für Schritt wird sich dem Sinn der Veränderung, die erwirkt werden soll, unter den Gesichtspunkten Motivation, Identität und Glaubenssätzen angenähert. Durch intensive Übungen werden dem/der Lesenden die eigenen Gedanken Vorstellungen und Wünsche veranschaulicht.

Die anschließenden Kapitel befassen sich übergreifend mit dem Konzept von Wahrnehmung. Die Autorin beschreibt wie Wahrnehmung die Einschätzung von Situationen in Allgemeinen und von Lebenskrisen beeinflusst. Die Wahrnehmung von spezifischen Reizen und ihrer Bewertung lösen Angst oder Stress aus. Die Bewertungen haben ihren Ursprung in vergangenen Lernerfahrungen, viele davon in der Kindheit. Eine Vielzahl der eigenen Wahrnehmungen wird durch gezielte Aufgaben hinterfragt. Automatische Gedanken, die im Zusammenhang mit besagten Lernerfahrungen stehen und teilweise zur Etablierung von unerwünschten bzw. destruktiven Gewohnheiten führen, können mithilfe von kognitiver Umstrukturierung verändert werden. Die Thematik führt sich über die Einschätzung des eigenen Selbst, Fremdwahrnehmung, der Analyse eigener Stärken und Schwächen fort und setzt damit vertiefend einen Ausgangspunkt für Veränderung. Von diesem Fundament aus lässt sich sinnvoll definieren, welcher Mensch man sein möchte und welches Leben dieser Mensch führen soll. Auf dem Weg dahin wird es Rückschläge geben. Auch dieser garantierte Bestandteil einer angestrebten Veränderung wird im Buch ausführlich behandelt. Fehler haben einen Sinn und können positiv bewertet werden. Nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Es folgen Erläuterungen und Übungen zu Lebensqualität und persönlicher Selbstbestimmung. Bedeutend ist im Leben ist eine Ausgewogenheit der für einen persönlich wichtigen Lebensbereiche und zu erkennen, dass jeder die Macht hat, für sich und sein Leben unabhängige Entscheidungen zu treffen.

Zu guter Letzt wird Selbstfürsorge durch positive Aktivitäten, die unabdingbar für den Erfolg von Veränderungen sind, thematisch ergänzt. Das Buch schließt mit dem Fazit über die persönlichen Erfahrungen, die durch die Arbeit mit dem Buch und sich selbst gemacht werden konnten. Im Anhang finden sich vereinzelt Blancos der im Werk durchgeführten Übungen

Persönliche Meinung

Eine sehr lange IKEA-Anleitung zu den Thematiken Selbstfindung, Identität und Selbstreflexion – viel Frust, ein paar Aha- und Erfolgsmomente, wenig Neues und ein schönes Ende. Zu Beginn war ich recht motiviert, bearbeitete tatkräftig die Übungen, sah über Formatierung- und Rechtschreibfehler hinweg und ignorierte die vereinzelten Pauschalaussagen sowie fragwürdige Ratschläge, bspw. Wenn du deine Motivation für das Laufen verlierst, stell dir vor, dass du vor einem Serienmörder oder Zombie davonläufst. Im Mittelteil fiel mir das Ignorieren deutlich schwerer und war dann umso erfreuter, dass mich der Schluss nochmal abgeholt hatte, nachdem ich mich mühevoll sorgfältig bis zum Ende durch alle Inhalte und Übungen gearbeitet hatte.

Beim Einstiegsthema Zielsetzung gab es viele Punkte und Übungen, von denen ich viel mitnehmen konnte. Der Aufbau wirkt hier recht schlüssig. Um eine Veränderung zu bewirken, muss ich realistische Ziele setzen und die richtigen Maßnahmen ergreifen. Dabei habe ich mich intensiv mit meinen Lebensbereichen und Rollen, die ich einnehme, auseinandergesetzt und schuf damit eine Grundvoraussetzung, um Ziele zu formulieren. Am Ende dieses Kapitels wurde eine, meiner Meinung nach, wertvolle Übung zu sogenannten Glaubenssätzen eingefügt. Mit diesen wird sich ebenfalls häufig in der Psychotherapie beschäftigt und sind oft einer der Gründe, warum es schwierig ist, ins Handeln zu kommen. Methoden aus der Psychotherapie, Beratung und Coaching finden zu vielen der niedergeschriebenen Konzepte ihre Anwendung, welches ein Gefühl von fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen aufkommen lässt. Das war bei einigen Fragen und Aufgabenstellungen nicht der Fall: Wenn du dich schämst, dass du zu wenig Sport machst, ziehe ein bauchfreies Top an und gehe durch ein Shopping-Center. Du wirst dich so schämen, dass du auf der Stelle den nötigen Ansporn hast, etwas daran zu ändern. Über solche Sätze bin ich mehrfach gestolpert und habe mich gefragt, welchen nachhaltigen Nutzen es haben soll, wenn derartiges tatsächlich beherzigt wird.

Die Schlagwörter Sport im Rahmen von Abnehmen und Gewicht reduzieren im Allgemeinen werden leider zuhauf als Beispiele für erstrebenswerte Veränderungen angebracht, meistens im Zusammenhang mit platten Aussagen, wie, dass man, um abzunehmen, nur wie ein schlanker Mensch denken müsse.                                                                   

Die soeben beschriebene „Übung“ Verstärkung von Schmerz findet sich im Kapitel Kognitive Umstrukturierung, in welchem ich mir zum Beispiel den Absatz zu Glaubensätzen ebenfalls gewünscht hätte. Viele Themen wie Wahrnehmung, Selbstbild und wichtige Lebensbereiche tauchen an unterschiedlichen Stellen mal mehr und mal weniger sinnvoll auf und wiederholen sich. Letzteres ist nicht unbedingt verkehrt, da es sich um viele Informationen handelt, die durch das Buch vermittelt werden. Insgesamt war es jedoch schwierig, einen roten Faden zu erkennen.

Durch die Menge der Aufgaben und Übungen habe ich mich selbstreflektierend und intensiv mit mir auseinandergesetzt, sodass ich zu gegebener Zeit gerne wieder in das Buch reinschauen werde, um mir die Erkenntnisse vor Augen zu halten. Ein schlüssiger Aufbau über das gesamte Werk hinweg ist jedoch nur in Ansätzen zu erkennen, sodass wenig von einer „Reise“ im Sinne des Buchtitels gesprochen werden kann und mehr der Untertitel Finde die Antworten in dir selbst… an Bedeutung gewinnt. In den einzelnen Kapiteln selbst kommen im Gegensatz dazu Informationen in Kombination mit Fragen oder Übungen vor, die einer Schritt für Schritt Anleitung ähneln.                                                               

Positiv möchte ich hervorheben, dass die Autorin zu vielen Aufgabenstellungen Zeitansätze mitgibt und damit vermittelt, dass Selbstreflexion und Selbstfindung mal nicht so nebenbei stattfinden (etwas, das bei einer IKEA-Anleitung übrigens auch beherzigt sollte). Auch die Auswahl der Übungen und Methoden sind herausfordernd und zeichnen ein Bild des eigenen Lebens und Verhaltens. Sicherlich waren zum Verständnis dieser Methoden einige Erläuterungen notwendig, jedoch hätte sich die Autorin in dem Fall mehr an wissenschaftliche Quellen als an Plattitüden, wohl der Unterhaltung willen, halten können und sich damit einiges an Inhalt gespart, der in anderen Büchern besser aufgearbeitet ist. Damit hätten die sinnvoll zusammengestellten Aufgaben und die Auseinandersetzung mehr in den Fokus rücken können.

Zuletzt möchte ich noch das letzte Kapitel Von nicht kommt nichts erwähnen, da es meine Stimmung zum Ende des Buches deutlich verbessert hat. Das Buch betont häufig, dass für Veränderungen die Wahrnehmung angepasst werden, Ziele gesetzt, das innersten Selbst erkannt und konstruktiv mit Fehlern umgegangen werden muss. Das ist anstrengend und bedeutet viel Arbeit, Durchhaltevermögen und auch Schmerz. Im besagten letzten Teil jedoch holt die Autorin ein paar Inhalte und Übungen im Rahmen von Selbstfürsorge hervor. Betont wird, dass positive Aktivitäten und Zeit für sich selbst genauso wichtig sind wie konstruktives Arbeiten mit sich selbst und dem eigenen Leben. Auch Glücklichsein ist Übungssache – dieser Satz hat sich nachhaltig positiv in meine eigene Gedankenwelt eingefügt und Fragen wie: Was bringt mich zum Lachen? oder Wie kann ich Freude schenken?, haben ein leichtes Gefühl am Ende des Buches bei mir hinterlassen.

Fazit

Mein IKEA-Kleiderschrank steht und sieht passabel aus. Der Weg dahin und die Anleitung waren beizeiten frustrierend und ich hätte mir inhaltlich einiges sparen können. Vieles habe ich improvisiert, da mir einige Schritte fragwürdig vorkamen. Hätte ich noch nie einen Kleiderschrank aufgebaut, hätte ich möglicherweise einige neue Informationen über mich und mein Handeln erarbeiten können. Als Person, die seit Jahren psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nimmt (also einen Menge an Kleiderschränken baucht), habe ich viele Methoden und Konzepte wiedererkannt und bei anderen den Sinn nachvollziehen können. Neue Erkenntnisse hielten sich dementsprechend im Rahmen. Insgesamt würde ich den Inhalt des Buches trotz einiger weniger Lichtblicke, vor allen das letzte Kapitel, nur bedingt empfehlen. Andere Bücher stehen diesbezüglich deutlich besser da.

Ich kann mir vorstellen, dass dieses Buch für Personen, die sich noch nie oder wenig mit den Gründen ihres Handelns oder Nicht-Handelns auseinandergesetzt haben, einen „Weg“ zu sich selbst bereitet und Anfänge schafft, gewünschte Veränderungen ins Rollen zu bringen. Auch kann es für Menschen, die bereits Erfahrungen mit Therapie und Ähnlichem gemacht haben, eine sinnvolle Ergänzung sein, um sich die erfolgreiche Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Leben zu veranschaulichen und ggf. diese wieder vor Augen zu halten, wenn es von Nöten ist. Immerhin hat man am Ende fast 400 Seiten durchgearbeitet und das allein empfinde ich als beachtlichen Erfolg, ähnlich wie den Erfolg, wenn ein Kleiderschrank von IKEA endlich steht. Betrachtet man das Werk als Sammlung verschiedenster Methoden und Aufgaben sich seiner eigenen Persönlichkeit anzunähern und ignoriert die fragwürdigen Inhalte, kann dieses Buch allein durch die Menge der Übungen überzeugen.

Alina Redakteurin

Ich bin Alina, 28 Jahre alt, Nordlicht und junge Mama. Ich möchte, dass  alle die Chance haben, ihre Stimme zu nutzen, psychisch Erkrankte und ihre Angehörigen. Reden hilft und Zuhören noch mehr. Dies ist der rote Faden, der sich durch meinen Alltag, meinen Beruf und mein Ehrenamt zieht.

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