„Paare mit Paketen – Psychische Erkrankungen gemeinsam meistern“ ist im Jahr 2021 vom BALANCE Buch + Medien Verlag herausgegeben worden. Die Autorin Karen-Susan Fessel berichtet auf 160 Seiten von elf Paaren, die ihre Lebens-, Alltags- und Beziehungsgestaltung unter dem Einfluss einer oder mehreren psychischen Erkrankungen bewältigen.
Inhalt
Die Erfahrungsberichte von Paaren im Alter von 32 bis 78 erzählen von Höhen und Tiefen, von viel Beziehungsarbeit, Kommunikation und Verständnis. Vor allem aber von Liebe. Letztere ist bei vielen der Beziehungen Kernelement und der “Kleber”, der trotz der Schwierigkeiten, die die eigene und/oder Erkrankung der:des anderen mit sich bringt, die Partner:innen zusammenhält.
Viele der Befragten führen schon längere Beziehungen, haben Familien gegründet oder sind als Patchworkfamilien zusammengewachsen. Von kreativ- über sozialarbeitend bis hin zu handwerklich Beschäftigten ist alles dabei. Ebensoso vielfältig sind auch die psychischen Erkrankungen, die behandelt werden: Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, paranoide Schizophrenie, posttraumatische Belastungsstörung, Borderline Persönlichkeitsstörung und auch Autismus-Spektrum-Störung, die sich besser als Entwicklungsstörung einordnen lässt. Häufig geht es bei den Paaren um Zuhören, Kennenlernen und Verstehen.
Die Berichte zeigen, dass es für beide Partner:innen ein Lernprozess ist, ein langsames, gesundes Anpassen aneinander und eine Geduldsprobe. Die wenigsten der interviewten Erkrankten haben zum Zeitpunkt der Interviews mit dem Gesundungsprozess abgeschlossen. Dieser Prozess ist nicht immer ein geradliniger und so manch eines der befragten Paare hatte mit Rückfällen und Krisen zu kämpfen. Manch einem:einer ist bewusst, dass ein Teil der Erkrankung ein Leben lang bleiben wird. Aber darin liegt weder der Schwerpunkt der Texte noch der Beziehungen. So beschreiben die Interviewten ihre:n Partner:in liebevoll als Stütze, Bereicherung und Zuhause. Der/die eine oder andere ist sogar ein:e „Lebensretter:in“.
Bei dieser Menge an individuellen Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen und Lebensumständen gibt es auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten und bei oberflächlicher Betrachtung ist kaum ein Vergleich möglich. Dennoch scheint die diversen Erfahrungen am Ende eines zu einen – die erfolgreiche Überwindung von Hindernissen und gemeinsames Wachsen auf persönlicher und interpersonaler Ebene. Sie zeigen, dass eine psychische Erkrankung im Alltag mehr als nur ein „schweres Paket“ sein kann, sondern auch Anregungen für das Leben bieten kann, Herausforderungen schafft und für Lernerfolge und eine Vertiefung von Beziehungen sorgen kann: Die interviewten Paare schauen optimistisch in die Zukunft und die über allem schwebende Erkrankung scheint die Freude, eine:n Partner:in fürs Leben gefunden zu haben, für sie nicht im Geringsten zu trüben.
Zu meiner Meinung
Nach dem Lesen des Erfahrungsberichtes des ersten Paares ist das Interesse für die zehn weiteren Geschichten geweckt. Wer sind die anderen, mit welchen Erkrankungen haben sie zu tun, wie sieht ihr Leben aus? Wie viel Raum nimmt die psychische Erkrankung ein? Bei Fortschreiten des Buches wird klar: Bei dem einen oder anderen Paar spielt die Erkrankung eine große Rolle und das vor allem, weil sie die Persönlichkeit prägt. Ich bin erleichtert, denn dies spiegelt meine eigene Realität wieder. Denn eine psychische Erkrankung, so unsichtbar sie manchen erscheint, ist oft wie der Elefant im Porzellanladen und bleibt es meiner Erfahrung nach oft in einer Beziehung. Je nach Schwere und Ausprägung der Erkrankung hat sie das Potenzial zwischen den Liebenden sehr viel kaputt zu machen. Oft gerade dann, wenn sich nicht mit ihr produktiv auseinandergesetzt wird. Letzteres haben die elf Paare jedoch gemacht und das mit positiven Konsequenzen für alle.
Bei den Paaren, bei denen beide von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, ist vor allem eine Freude und Erleichterung, jemanden gefunden zu haben, der ein überdurchschnittliches Verständnis dafür hat, was der:die Partner:in gerade braucht oder nicht braucht, zu spüren.
Deutlich wird, dass es um mehr geht als nur Zuhören. Manchmal Ist auch ein hohes Maß von Opferbereitschaft von Nöten, je nach Krankheitsbild und Lebensumständen mal mehr und mal weniger. Oft jedoch eher mehr. Die Autorin Karen-Susan Fessel rückt vor allem die Erfolge, Errungenschaften und positiven Besonderheiten einer Beziehung mit psychischen Erkrankungen in den Vordergrund. Meinen Geschmack nach etwas zu viel. So vermute ich, dass Leser:innen, die selbst und der:die Partner:in nicht von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, das Buch mit einem guten Gefühl beenden und beenden sollen. Schließlich ist es „ja so beeindruckend“, was die Paare schon geleistet haben und wie sie ihr Leben mit „solch einem Paket“ bestreiten. Insgesamt stellen die Paare die Lebensrealität unter Einfluss psychischer Erkrankungen gut dar und ich finde es wichtig und richtig, dass diese ihre Geschichten erzählen können, um Stigmatisierung entgegenzuwirken. Als jemand, die selbst psychisch erkrankt ist und eine Beziehung zu meistern hat, fühlt es sich nach Zuklappen des Buches jedoch nach einem Hauch „inspiration porn“ und manches Mal nach einer Beschönigung von schwierigen Lebensverhältnissen an.
Fazit
Dieses Buch mit den Erfahrungsberichten von elf individuellen Paaren ist ein guter erster Schritt in Richtung Sichtbarkeit von Paarbeziehungen mit psychischen Erkrankungen. Die dargestellten Menschen sind Teil unserer Gesellschaft, haben große Herausforderungen zu bewältigen und ein Recht gesehen zu werden, mit ihren Schwierigkeiten und Erfolgen. Betroffene Leser:innen können sich wiederfinden und sich ein weniger allein mit ihren Problemen fühlen. Sie sollten jedoch nicht frustriert sein, wenn ihre Paar- und Lebensrealität nicht so rosig und erfolgreich aussieht wie in dem Buch gelegentlich dargestellt. Für alle anderen ist diese Sammlung eine gute Erweiterung des eigenen Horizonts und eine interessante Lektüre.