Emotionale Grenzen und Grenzziehungen im Allgemeinen stellen in zwischenmenschlichen Beziehungen ein wichtiges (und unabdingbares) Element dar. Sie regeln und strukturieren die Interaktion, das Zusammenleben, die Begegnung zweier Personen. Es werden gleichsam Grenzen für das eigene Verhalten und Empfinden gesetzt – kurz: Selbstregulierung betrieben – wie auch der Wirkungsbereich der anderen Person abgesteckt. Doch was passiert, wenn solche Mechanismen der emotionalen Abgrenzung nicht richtig greifen? Wenn sie verblassen, brechen, wirkungslos werden – oder gar nie richtig gesetzt wurden?
Clash of Charakterköpfe – Emotionale und rationale Kommunikation
Das Setzen solcher Grenzen beziehungsweise deren klare Kommunikation, ohnehin sehr wichtig, erhält meiner Meinung nach einen noch größeren Stellenwert, wenn es um das Aufeinandertreffen sehr verschiedener Typen geht. Wenn sich die Persönlichkeit (und infolgedessen vielleicht auch die Wahrnehmung bestimmter, unter Umständen wichtiger Dinge) des Gegenübers stark von der eigenen unterscheidet, dann bedarf es klarer, deutlich kommunizierter Grenzziehung, um Missverständnisse und Streit zu vermeiden.
Das merke ich selbst vor allem in der Beziehung zu einer Person meines engsten Umfelds. Sie: Energiegeladen, stürmisch, extrovertiert, direkt und nüchtern bis rational. Ich: Ruhig und zurückhaltend, introvertiert, etwas schüchtern und eher emotional. Gerade ihre Unverblümtheit und ihre nüchterne Weltsicht prallen häufig mit meinem eher zaghaften Ausdruck und meiner emotionalen Betrachtungsweise zusammen. Ich lamentierte rum und sagte nicht klar meine Meinung, heißt es häufig. Dafür muss ich sie oft darauf hinweisen, dass ein ruppiger Witz von ihr oder eine eher beiläufige Bemerkung auf mich große emotionale Wirkung haben können und mich manchmal völlig aus der Bahn werfen – zum Beispiel, wenn sie meinen Mangel an Energie als Faulheit abstempelt oder meine Vorbehalte gegenüber Dingen, die meinen Bedürfnissen widersprechen, als “Ausreden” beiseite fegt.
Solche „Sender-Empfänger-Probleme“ kommen in vielen alltäglichen Situationen zustande, können aber meist durch den Versuch, seine eigenen Grenzen klar zu kommunizieren, relativ gut kompensiert werden. Etwas anders sieht es jedoch aus, wenn zwei unterschiedliche Persönlichkeiten zusätzlich noch unter psychischen Erkrankungen leiden, die eine solche zwischenmenschliche Kommunikation weiter belasten.
Betroffene:r und Angehörige:r – Wann und wie grenze ich mich (nicht) ab?
Die Fähigkeit, Grenzen zu ziehen (und weiterhin klar zu kommunizieren), kann im Zuge psychischer Erkrankungen belastet sein. So gibt es Erkrankungen wie etwa Depressionen oder Angststörungen, bei denen unter Umständen Probleme auftreten können, gegenüber Dingen und Menschen Grenzen zu setzen. Weiterhin gibt es auch solche Erkrankungen, für die die Problematik des Grenzen-nicht-setzen-Könnens ganz wesentlich ist, etwa Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. In all diesen Fällen ist in der Regel die („normale“) emotionale Abgrenzung des betroffenen Individuums nicht in vollem Umfang möglich.
Ich selbst leide an Depressionen sowie einer sozialen Angststörung. In ersterem sehe ich vor allem meine Fähigkeit betroffen, mich gegenüber negativen Gedanken und (infolgedessen) destruktiven Verhaltensmustern abzugrenzen. Letzteres betrifft meine Abgrenzungsfähigkeit in nahezu allen Bereichen des alltäglichen Lebens: Gerade in der Öffentlichkeit lasse ich mich durch andere Personen sehr leicht verunsichern; ich projiziere ihre Äußerungen, ihr Lachen, ihre Mimik und Gestik häufig auf mich selbst; und auch gegen das plötzliche „Hereinbrechen“ der Angst kann ich mich nur schwer abschirmen – auch, wenn es bei mir glücklicherweise kaum zu ausgewachsenen Panikattacken kommt. Mir fällt es insgesamt schwer, mich von den Emotionen meiner (bekannten) Mitmenschen abzugrenzen: Wut und Zorn, wenn auch nicht explizit gegen mich gerichtet, schüchtern mich sehr schnell ein.
All dies führt dazu, dass ich häufig das Gefühl habe, mich selbst in Stress, Sorgen und Ängsten zu verlieren. Ich fühle mich entrückt und von mir selbst losgelöst, die Ränder meiner Persönlichkeit sind „ausgefranst“. Ich bin froh, wenn ich in einem Moment der Angst noch Name, Alter, Wohnort und Studiengang aufzählen kann.
Dies geschieht besonders häufig im Kontakt mit besagter Person. Sie ist Borderline-Betroffene:r und kann häufig wenig bis gar keine Empathie für ihre Mitmenschen aufbringen – ein Umstand, der vor allem emotionale Kommunikation aller Art sehr erschwert. Die erwähnte Abschirmung gelingt mir ihr gegenüber kaum; oft nur dann, wenn ich mich eine Weile gänzlich von ihr distanziere – räumlich und mental.
Gleichzeitig veranlasst mich mein Wissen darum, dass ihr bisweilen rüdes Verhalten und ihre taktische “Kalkulation” von Mitmenschen nicht nur in reiner Böswilligkeit, sondern vor allem in Problemen des emotionalen Ausdrucks begründet sind, dazu, diese gefühlsmäßige Abschottung nicht gänzlich zu vollziehen und zumindest die Möglichkeit des Dialogs offen stehen zu lassen. Solch eine soziale und emotionale Gratwanderung kostet unglaublich viel Energie und wird durch eigene Unsicherheiten sowie Unverständnis und bisweilen kritische Kommentare von außen, gegen die man sich dann wiederum abgrenzen können müsste, weiter erschwert.
Ein Appell? – Warum es sich lohnt, Grenzsetzung zu lernen
Diese beschriebene Gratwanderung sollte jedoch keinesfalls zur Norm für familiäre und freundschaftliche Beziehungen werden. Gerade in Fällen, in denen emotionale Angriffe (ob bewusst von einer anderen Person eingesetzt oder nicht) die psychische Unversehrtheit und sogar die eigene Persönlichkeit tangieren, scheint es mir wichtig, rigoros Grenzen zu ziehen. Auch, wenn einem das unter Umständen sehr schwer fällt und es bisweilen weh tut.
Und sollte man das Gefühl haben, dass es trotz derartiger „Warnhinweise“ weiterhin unmöglich ist, klare Grenzen zu ziehen, dann ist es absolut richtig, um Hilfe zu bitten. Ob professioneller Natur oder aus dem Erfahrungsschatz derer, die ebenfalls betroffenen sind. Das Erlernen wirksamer Mechanismen zur emotionalen Abgrenzung heilt nicht sofort von unter Umständen komplexen psychischen Erkrankungen – aber es kann Linderung verschaffen, die eigene Persönlichkeit stärken und Rüstzeug für die Herausforderungen des Lebens an die Hand geben.
Weitere Erfahrungen, Anregungen und Anleitungen zum Thema “Grenzen setzen”:
- Artikel von Janine Berg-Peer: Grenzen setzen ist nicht leicht
- Ein Ratgeber zum Thema Grenzsetzung: Grenzen setzen: Wie du lernst, NEIN zu sagen (eine Anleitung)
- Christiane Jung gibt Tipps zum Umgang mit seinen eigenen Grenzen und der der anderen: Grenzen setzen – Grenzen achten
- Du bist genug: Entspannt und Gelassen Grenzen setzen
- Deutsche Heilpraktikerschule: 5 Tipps wie Sie erfolgreich Grenzen setzen und einhalten
Ein Übungsheft, das mir wirklich sehr geholfen hat:
Das kleine Übungsheft, ISBN 978-3-941837-73-7,6,99 € (D) -Anne van Stappen Illustriert von Jean Augagneur
Ich studiere Germanistik und Medienkulturwissenschaft und interessiere mich für Literatur, Filme, Kunst, Musik, Sprachen und alles andere, womit man kreativen Gedanken Ausdruck verleihen kann. Ich halte mentale Gesundheit für ebenso wichtig wie die körperliche und bin daher sehr daran interessiert, über psychische Erkrankungen und verwandte Thematiken aufzuklären und Anti-Stigma-Arbeit zu leisten; auch weil ich weiß, wie es ist, sich allein zu fühlen oder morgens einfach nicht aus dem Bett zu kommen. Kommunikation und Austausch finde ich überaus wichtig und ich bin motiviert, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern von „Locating Your Soul“ genau dafür eine Plattform zu bieten.
Ich habe eine Borderline Mutter und einen Vater der sich nie gekümmert hat !! Ich bin von klein auf durch die Hölle gegangen und jetzt habe ich den Kontakt abgebrochen . Geht mir besser