Beziehung im Zwangskontext – und warum sie in Forensik und Familie gar nicht so unterschiedlich ist

Eine Beziehung aufbauen im Zwangskontext – wie soll das gehen? Noch dazu zu einem Menschen, der offiziell verurteilt wurde, der eine Straftat begangen hat. Der vor allem gerade nicht freiwillig vor einem sitzt und sich die Begegnung nicht im klassischen Sinne ausgesucht, wenn doch herbeigeführt hat. Wie ist es möglich unter derartigen Bedingungen einen Zugang zu bekommen? Ein Beitrag aus Sicht einer Mitarbeiterin.

Was Menschen einander näher bringt

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass eine Beziehung dann entsteht, wenn sich zwei oder mehr Menschen sympathisch sind. Vielleicht begegnen sie sich beim Einkauf oder in einem Sportverein, unterhalten sich ein wenig und stellen Gemeinsamkeiten in Form von Hobbies, Erlebnissen oder Meinungen fest. Reichen diese Gemeinsamkeiten aus, so beschließen diese Menschen selbstständig, dass sie sich wiedersehen können, vor allem wollen. Möglicherweise einer gemeinsamen Beschäftigung nachgehen oder Gedanken und Erfahrungen miteinander teilen. 

Kognitiv verzerrt

Wie wir unser Gegenüber zu Beginn einer Beziehung einschätzen, hat oft wenig mit der anderen Person zu tun. Vielmehr baut unsere Einschätzung darauf auf, welche vorherigen Erfahrungen, Glaubenssätze oder Weltanschauungen wir in unsere Analyse mit einbeziehen. Tritt ein Halo-Effekt auf, bedeutet das, dass wir von einer uns bekannten Eigenschaft des anderen automatisch auf eine weitere schließen. Ob das so stimmt, was wir uns da ausgemalt haben, wird von uns jedoch erstmal nicht überprüft. Kein Wunder also, dass die meisten Menschen erst einmal glauben dass funktionale Beziehungen zu verurteilten Straftäter:innen nicht möglich sind, immerhin sind „Kriminelle“ in der Gesellschaft negativ konnotiert. Die Person, die um eine strafbare Handlung herum existiert, wird zunächst kaum mehr gesehen.

Genauso wird der „Zwang“, der das Verhältnis in der Arbeit mit forensischem Klientel erst entstehen lässt, als überdauernde Barriere gesehen. Denn Zwang bedeutet für die meisten von uns, dass wir in unserer Freiheit komplett eingeschränkt sind, dass wir keinerlei eigene Entscheidungen treffen können. 

Zwang ist das, was uns zusammenführt

Familienbande werden im Gegenzug gemeinhin positiv besetzt. Aber wie viele Menschen haben sich ihre Familie selbst ausgesucht? Davon ausgegangen, dass mindestens eine Partei diese Verbindung nicht selbst initiiert – ist Familie so nicht auch ein weit verbreiteter Zwangskontext?

In beiden Fällen ist Zwang der Anlass, der den Beginn unserer Beziehung bestimmt. Über die Qualität und Ausgestaltung dieser, lässt sich so undifferenziert jedoch kein Urteil fällen. Die Qualität ist letztlich vielmehr davon abhängig, welchen persönlichen und gemeinsamen Gewinn jede:r Beteiligte aus der Beziehung zieht. Sei es ein angenehmes Gefühl, ein Wert, ein erhofftes Ziel, oder aber ein schnelles Ende der Betreuung oder Therapie. 

Klare Verhältnisse und ein gewisses Maß an Empathie

So wie Eltern, unterliegen Mitarbeitende im forensischen Bereich ebenso einem Zwang: Nämlich sich ihrer Verantwortung der Beziehungsgestaltung ihren Schutzbefohlenen, Hilfebedürftigen oder allgemein Klient:innen gegenüber bewusst zu sein. Vor allem der Verantwortung gegenüber dem, was die Betroffenen eigentlich wollen und ob dies zielführend scheint. Verlässlichkeit, Transparenz, eindeutige Motive oder vielleicht das Feststellen von Ähnlichkeiten, sind u.a. Bedingungen die gegenseitiges Vertrauen oder die reine Funktionalität einer Beziehung fördern können. Voreilige Bewertungen oder Übergriffigkeit hingegen stören. 

Als jemand, die:der eine Beziehung aufrechterhalten will, liegt es an mir, durch welchen Weg auch immer, Bedürfnisse und Motive meines Gegenübers zu verstehen und darauf einzugehen. Das kann bedeuten, dass ich zuhöre, wenn mein:e Klient:in oder mein:e Angehörige:r dies braucht. Dass ich eine praktische Hilfeleistung gebe, oder aber wir schauen unter welchen Bedingungen wir uns schleunigst wieder loswerden können. Genauso liegt es an mir, mein eigenes Bedürfnis oder meine Absichten und Ziele zu erkennen und deutlich darzustellen. So gehören auch Grenzen in einer gesunden Beziehung von beiden Seiten kommuniziert. Tun wir das nicht, werden wir möglicherweise beide frustriert. 

Raus aus dem Zwang, rein in die Freiwilligkeit

Fest steht, dass externe Faktoren zwei Menschen gewissermaßen dazu zwingen können in einem Verhältnis zueinander zu stehen. Inwieweit ich mich weiterhin innerhalb der Beziehung zu etwas gezwungen fühle und auch, inwieweit ich Zwang als weiteres Mittel nutze, hat aber hauptsächlich mit mir selbst zu tun und damit, wie sehr ich in der Lage bin mein eigenes Verhalten zu reflektieren. Auch, wie ich mit diesem empfundenen Zwang umgehen und diesen als solchen wahrnehmen will. 

Durch mein Handeln kann ich zusätzlich beeinflussen, ob und wie weit mein Gegenüber die eigene Freiheit innerhalb der Beziehung, über eigene Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten erkennt und welche davon ich tatsächlich unterstützen will. 

Gelingt es innerhalb der Beziehung Bedürfnisse zu berücksichtigen und so auch eine grundsätzliche Vertrauensbasis herzustellen, ist es gut möglich, dass die Beziehungsarbeit oder allgemein der Ausbau der Beziehung Früchte trägt. Gelingt dieses nicht, obliegt es jeder einzelnen Partei selbst zu entscheiden, ob die Beziehung weiter vertieft oder auf welche Weise auch immer beendet wird. Zwang ist weder, was die Beziehung am Leben hält, noch was sie zerstört. Es sind Entscheidungen, die wir fällen, unser Umgang mit dem Zwang und manchmal auch ein Funken Glück, wem wir gerade gegenüber stehen. 

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